04 – Initiative Frei Day – Wir alle brauchen Freiraum für unser Zukunftslernen

Selbst der offensichtlichste Fortschritt wird nicht gelingen, solange wir ihm keinen Entfaltungsraum geben. Also: Freiraum für eine sehr viel bessere Zukunftsgestaltung!

„Frei Day“ – so heißt die neue Initiative von „Schule im Aufbruch“, initiiert von Margret Rasfeld, der vielfach ausgezeichneten und inzwischen vielleicht bekanntesten Bildungsinnovatorin Europas. Sie setzte an der Ev. Schule Berlin-Zentrum (esbz), die sie lange Jahre leitete, das in die Praxis um, wovon sie überzeugt war als zukunftsweisende Bildung. Und sie inspirierte mit dem damit geschaffenen Beispiel Zehntausende von Lehrenden und noch mehr Lernenden in ganz Europa. Ihre Schule wurde so zu einer Werk- und Wirkstatt für neues Lernen, für Zukunftsbildung im doppelten Wortsinne.

Ich hatte die Freude, einige Episoden ihres Weges in unterschiedlichen Rollen ein Stück mitbegleiten zu dürfen. Ein Erlebnis daraus macht es stellvertretend deutlich, weshalb die jetzige Initiative „Frei Day“ so wichtig ist für unsere gesamte Gesellschaft, für unsere gesamtsystemische Zukunftsgestaltung – weit über unsere Schulen hinaus.
.

„Wie soll ich das aushalten, jetzt wieder zurück zu müssen in das Getriebe der Vergangenheit?“

Als Veranstalter des „Vision Summit“, der Leitkonferenz für soziale Innovationen in den Jahren 2007 – 2016, stellte unser Institut diesen im Jahr 2013 unter das Motto „EduAction – Der große Aufbruch zur Bildung für das 21. Jahrhundert“. Die Urania in Berlin, die bundesweit älteste und größte Bildungseinrichtung für Erwachsenenbildung, war überfüllt mit Lehrenden, Lernenden und den bekanntesten Bildungsvordenkenden und -pionieren aus den deutschsprachigen Ländern.

Am Ende dieser denkwürdigen Konferenz kam eine Lehrerin eines Gymnasiums aus Nordrhein-Westfalen auf mich zu, um sich für das zu bedanken, was sie hier auf- und mitnehmen konnte. Sie sprach mit Tränen in den Augen von „überwältigenden Impulsen“ – und im selben Augenblick erfasste sie ein tiefer Weinkrampf. Minutenlang war sie in diesem völlig außerstande, auch nur ein Wort zu äußern. Eine immer größer werdende Traube entstand um sie herum, um ihr empathisch beizustehen. Als sie wieder halbwegs sprechfähig war, meinte sie: „Wie soll ich das aushalten, jetzt wieder zurück zu müssen in den Alltag und das Getriebe der Vergangenheit an unserer Schule?“

Sie sprach dann an – alle anderen Beistehenden trieb dasselbe Dilemmata um: Die Lehrpläne seien rappelvoll, die Bürokratie raube zusätzlich immer mehr Zeit und Energie, ein Teil der Eltern torpetiere alles andere als pures Lernstoffpauken – von dem eigentlich jeder weiß, wie sehr dies die Lernlust auszehrt, unter den Lehrenden grassiere ohnehin schon der Burn-out mehr als in jedem anderen Beruf… Der gegenwärtig die Welt bewegende Satz des sterbenden George Floyd „Ich kann nicht atmen…“ drückt im übertragenden Sinne im Grunde dasselbe Gefühl aus, das in der damaligen Situation mit Händen zu greifen war: Es fehlt an genügend Luft – zum Atmen von Zukunft. Und dies, obwohl die notwendige „Zukunfts-Luft“ in Form von beispielgebenden Projekten und praktischen Tools längst reichlichst vorhanden ist.
.

„Frei Day“ bedeutet: Luft zum Atmen von Zukunft – inhaltlich und lebenspraktisch

„Frei Day“ fordert für die schulische Lernwelt im Kern ein sehr überschaubares Stück Freiraum für zwei Grunddimensionen von Zukunftslernen und Zukunftsgestalten:

  • für den inhaltlichen „Lernbereich der Zukunft“, sprich: die Zukunftsthemen, die alle Regierungen der Welt 2015 einstimmig verabschiedet haben als die wichtigsten für unser aller Zukunft – die sogenannten „Sustainable Development Goals“ (SDGs) bzw. „Global Goals“ – und
  • für die lebenspraktischen „Lernkompetenzen der Zukunft“, sprich: die „Future Skills“, von denen die OECD als „die neue Währung des 21. Jahrhunderts“ spricht

„Schule im Aufbruch“ beschreibt auf deren Homepage diese Zielsetzung für ihre neue Initiative „Frei-Day“:

„Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) steht mit dem Nationalen Aktionsplan und angesichts der Dringlichkeit zum Handeln zentral auf der bildungspolitischen Agenda. BNE bedeutet jedoch viel mehr als eine thematische Verankerung von Themen im Unterricht. Der Schlüssel sind das eigene Handeln und das Erfahren von Selbstwirksamkeit. Für das Lernen im Leben an relevanten Fragestellungen fehlt in den aktuellen Stundenplänen meistens die Zeit. Das Thema Zukunft kommt in Lehrplänen und Schulbüchern gar nicht vor.“

„Der (Vorschlag der Initiative*) FREI-DAY räumt Schulen 4 Stunden am Freitag für das Thema Zukunft ein: Eine Zeit, in der die Schüler*innen selbst entscheiden, mit welchem Zukunftsthema (im Rahmen der SDGs*) sie sich beschäftigen wollen. Der FREI-DAY realisiert das Ziel des Nationalen Aktionsplans vom Projekt in die Struktur zu kommen. Der FREI-DAY hat hohes Transformationspotenzial, da er einen Haltungswandel (im Sinne von den „Future Skills“, die dabei praktisch erworben werden*) impliziert.“

„Der FREI-DAY schafft an Schulen strukturell verankerte Freiräume für

  • Lernen mit Herz, Hand und Kopf
  • Verstehen der großen Fragen unserer Zeit
  • Begegnung mit Zukunftsforschung
  • interessengeleitete sowie jahrgangs- und schulübergreifende Zusammenarbeit
  • Inspiration durch Künstler*innen, NGOs, außerschulischen Lernorten, Unternehmen, Universitäten, Wissenschaftler*innen
  • und vieles mehr

Dieser Tag bietet jungen Menschen den Raum, miteinander die Zukunft zu gestalten.“ (*Die mit einen Sternchen markierten kursiven Texte sind Kontext ergänzende Erläuterungen durch den Autor dieses Beitrags.)
.

Von „Frei-Day“ in unseren Schulen zu „FREE your DAY“ für alle

Die Initiative „Frei-Day“ kann endlich den überfälligen Freiraum – die „Luft zu Atmen“ – an unseren Schulen schaffen für die Entfaltung dessen, was längst in allen Lehrplänen aller Länder schriftlich verankert ist: sowohl die „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ im Sinne der 17 „Sustainable Development Goals“ der Vereinten Nationen als auch die sozialen, digitalen und lebenspraktischen „Future Skills“.

Aber „freie Stunden“ – was letztlich ja lediglich der Vorschlag ist – an einem Freitag oder sonstigen Wochentag oder wie auch immer im Leben, Wirken und Arbeiten eingebaut, brauchen wir alle und überall und in jedem Lebensalter für die Beschäftigung mit den Zukunftsherausforderungen und für das Lernen und den Erwerb von Zukunftskompetenzen. Eine Bewegung in dieser gesamtgesellschaftlichen Dimension könnte sich als Motto nehmen: „FREE your DAY“ – „Befreie den Tag für…“, „Nutze ein Stück Zeit, um…“.

Wir alle müssen von unserem Wissen, unseren Zielen und unseren Kompetenzen zukunftsfähige Zukunftsmitgestalter werden. Ganz persönlich für unser individuelles Glück. Und ebenso als verantwortungsvolle und kompetente Mitgestalter der Zukunft der Gesellschaft wie der konkreten Organisation oder Unternehmung, für die wir wirken.

Weitere Informationen:

www.frei-day.org

www.schule-im-aufbruch.de

www.weq.institute

.