03 – Ur-Sache: unser – co-creatives – Zukunftsdenken

Wenn wir über Ursachen nachdenken, so fast immer noch mit der Frage der WoHERkunft, nicht der WoZUkunft. Ist der ur-sächliche Impuls jeglichen Zukunftsfortschritts nicht schon immer die IMAGINATION einer problemlösenden oder wünschenswerten besseren Zukunft gewesen? Sei es für uns individuell oder universell für die gesamte Menschheit.

Nein, nicht die Vergangenheit ist Ursache von Gegenwart und Zukunft, auch wenn dies uns noch so selbstverständlich erscheinen mag. Es ist genau umgekehrt: Zukunft war schon immer die Ur-Sache, der Entstehensgrund von allen Zeitphänomenen, also von allem Geschehen und Entstehen in der Vergangenheit, der Gegenwart und erst recht Richtung Zukunft.

Zukunftsorientierung als Zukunfts-Ursache?

Schon Aristoteles führte alles Sein – nicht nur alles lebendigen, sondern auch des anorganischen Seins – auf eine ihm innewohnende und seine Prozesse steuernde und vorantreibende Zweck-, Ziel- und damit Zukunftsorientiertheit zurück. Wozu, wohin – statt woher.

Der Kant-Forscher Hans Vaihinger stellte als einer der Pioniere der Wissenschaftstheorie schon vor über 100 Jahren fest: Die Grundlage menschlicher Wahrnehmung seien Fiktionen. Die unendliche Komplexität der Wirklichkeit erlaube keine endgültigen, fixen Erkenntnisse, wie das Universum und selbst das kleinste Teil darin „funktioniere“. Wir können nur mit Hilfe von Annahmen, Analogien, Thesen, Theorien und allgemein mit Fiktionen wahrnehmen und uns so der Wirklichkeit immer weiter und besser nähern. Also sei es wichtig, unsere Fiktionen immer weiter zu entwickeln. In Bezug auf immer bessere Lösungen zur Gestaltung und Mit-Gestaltung unserer Welt kommt Vaihinger zu der bemerkenswerten Sicht: An weiterführendere Erkenntnisse und positivere Gestaltungsmöglichkeiten nicht zu glauben sei schlicht Dummheit. Die Erde als Scheibe, Kugel oder lebendigen Organismus (Gaia) zu betrachten war die Ursache für die damit jeweils verbundenen neuen Erkenntnisse und Handlungsoptionen.

Im psychologischen Bereich war es Alfred Adler, der diese Denkweise als erster konsequent zur Basis seines Menschenverständnisses machte. Er löste sich vollständig von der Vorstellung, dass Triebe die Treiber des Menschen seien, sondern seine Ziele, konkret: seine Selbst- und Weltbilder. Wer eher nach Entschuldigungen sucht, freut sich über Triebtheorien, wer nach zukunftsverbessernden Antworten und Ver-Antwortungen sucht, ist völlig anders unterwegs.

Vor allem die Fortschritte systemischen Denkens in allen Wissensbereichen und wissenschaftlichen Disziplinen weichten erratisches Denken immer tiefgreifender auf. Heute gibt es nicht mehr nur wenige Pioniere, sondern Millionen fiktions-visionär weiterdenkender Mit-Pioniere.

Evolutionstreiber Stufe 1: „Geniale Innovatoren“ – „Genius Innovator“

Vor dem Hintergrund der Forschung und praktischen Arbeit unseres Instituts entwickelten wir vor kurzem folgende drei Stufen von Evolutionstreibern der menschlichen Wahrnehmung und Weltgestaltung. Die erste Stufe ist jene der „genialen Innovatoren“, der „Genius Innovator“.

Die wesentlichsten der Weiterentwicklung verursachenden Antreiber menschlichen Denkens und Kreierens waren bereits bei den ersten „Erfindern“ in der Steinzeit die dem Menschen eigene Problemlösungs-Kompetenz und Wünsch-Kompetenz. Entweder die Lösung eines Problems oder der Wunsch nach einer problemunabhängigen Verbesserung oder Verschönerung seines Lebens oder das seiner Umgebung waren die Ur-Sache seines Nachdenkens, oder besser seines Vordenkens, seines Vorstellens, seiner Fiktionsversuche möglicher Lösungen für sein Problem oder seine Wunscherfüllung.

Lange Zeit waren es nur vergleichsweise sehr wenige Menschen, die diesem menschlichen Antrieb so stark folgten und sich von ihm antreiben ließen, dass man sie als „Genius Innovators“, als „geniale Innovatoren“ bezeichnen konnte. Aber der Mensch, der als erster aus einem Stein ein Werkzeug vordachte und machte, war für seine Epoche und Gemeinschaft ein ebenso großer „genialer Innovator“ wie die Entwickler von sogenannten Sprunginnovationen in der heutigen Zeit.

Die Zeit genialer Innovatoren wird sicher nie enden, aber die überwältigende Zeit der bisherigen Menschheitsgeschichte waren es nur sehr wenige, die diesen Status menschlichen Selbstverständnisses lebten, und deren Zahl steigerte sich nur sehr langsam über die Jahrmillionen. Trotzdem waren es die ersten „Steine als Werkzeuge“- und „Feuer als Wärme- und Energiespender“-sehenden Menschen, die die Evolutionsgeschichte jeweils vergleichsweise sehr sprunghaft beschleunigten.

Evolutionstreiber Stufe 2: „Lernende Nutzer“ – „Learning User“

Die Evolutionsgeschichte des Menschen erfuhr durch den Karrieresprung einer weiteren Schlüsselfähigkeit des Menschen eine atemberaubende Beschleunigung – seine Lernkompetenz. Wichtige Zwischenstufen dieses Evolutionssprungs waren die ersten Elite-Lernclubs in den alten Hochkulturen, später die ersten Hochschulen und in jüngerer Zeit das Verständnis von Allgemeinbildung und möglichst großer Qualifizierung möglichst vieler Menschen in der Breite.

Immer mehr Menschen wurden dadurch zu lernenden Nutzern der Entdeckungen und Verständnisse der genialen Innovatoren. Die Verbreitung und Nutzung des bahnbrechenden Fortschrittswissens explodierte, wie wir alle erkennen mit dem Blick auf die Entwicklungen der letzten 100 bis 200 Jahre. Und noch ein Effekt trat ein: Aus der Schar der Learning User entdeckten sich sehr viel mehr als Genius Innovator.

Evolutionstreiber Stufe 3: „Lerndende Mitschöpfer“ – „Learning Co-Creator“

Doch heute stehen wir noch einmal vor einer völlig neuartigen Evolutionsstufe – der Evolutionstreiber Stufe 3 als „Lernende Mitschöpfer“, „Learning Co-Creator“. Es wäre völlig vermessen, deren neue menschliche Potenzialexplosion heute schon auch nur annähernd „vermessen“ zu wollen. Wir sind – wie zu jeder Zeit zuvor – darauf angewiesen, dazu angemessene Fiktionen zu entwickeln. Und dies heißt aus meiner Sicht in allererster Linie: Volle Verantwortung, gesamtsystemische Verantwortung zu übernehmen.

Wir sind längst Co-Creater, Mitschöpfer auf diesem Planeten geworden. Und wir haben als Menschen nicht nur eine erstaunliche Problemlösungs- und Wünschkompetenz und eine erstaunliche Lernkompetenz, sondern auch eine erstaunliche mitschöpfende Umsetzungskompetenz. All dies hievte uns unwiderruflich in die Rolle als konstruktiv verantwortungsvolle Learning Co-Cretors., wenn wir nicht als Selbstzerstörer in die Evolutionsgeschichte dieses Planeten eingehen wollen. Wir brauchen heute unsere Königskompetenz der Imaginationskompetenz, um Fiktionen, Vorstellungen, Konzepte, Lösungen, Systemgestaltungen und vieles mehr zu entwickeln, mit denen wir planetarisch-systemisch funktionierende Antworten kreieren und planetarisch-systemische Verantwortung fühlen, denken und leben.

Heißt dies, dass sich dadurch der bisher erarbeitete Wohlstand reduzieren muss? Manche Gestaltungsform davon mit den damit verbundenen Nebenwirkungen definitiv ja. Aber wir sind ebenso offensichtlich und damit definitiv nicht dazu verdammt, zum Beispiel keine Kreislaufwirtschaft (vor-)zudenken und umzusetzen. Allein der lernende Blick auf die Natur zeigt uns, dass und wie Kreislaufwirtschaft funktioniert. Nein, es geht nicht um weniger Wohlstand, sondern um eine andere Form und Liga von Wohlstand, die wir besser als Wohlergehen bezeichnen.

Es kann uns noch unbegrenzt immer besser ergehen, wenn wir uns dem Universum des gesamtsystemischen Zusammenspiels von allem mit allem öffnen – und darin unsere Rolle als lernende Mitschöpfer suchen.

Die „Community of Learning Co-Creators“

Die beste Botschaft ist: Es gibt inzwischen eine erstaunlich schnell wachsende Zahl von Menschen, die bereits einen – ihren – Einstieg in diese Selbst- und Weltwahrnehmung als Learning Co-Creator gefunden haben. Den damit verbundenen „neuen Reichtum“ – der seinem Wesen nach tendenziell ein ganzheitlicher, gesamtsystemischer und gesamtmenschheitlicher Reichtum ist – will niemand mehr von ihnen missen.

Diese bereits weltweit quirligst aktive, höchst heterogene und schon erstaunlich gut untereinander vernetzte „Community of Learning Co-Creators“ aus allen Bereichen der Gesellschaft entwickelte bereits Abertausende bahnbrechende Innovationen, die sich durch ihre Merkmale gesamtsystemischer Verantwortung und kollaborativer Haltung auszeichnen. Sie fanden Ausdruck in mehreren Hundert je einzeln bereits weltverändernden Megatrends von Open Source bis Co-Creation, von Open Innovation bis Future Skills Education und vielem mehr.

Learning Co-Creators ist explizit kein Privileg für Minderheiten oder nur eine kleine Teilmenge in der Weltgesellschaft. Es ist der not-wendige und unumgänglich nächste Status jedes Menschen in der menschheitlichen Entwicklung. Und mit dem Ansatz der Future Skills ist bereits der Schlüssel für die nächste angemessene Stufe von Lernen und Bildung im Kern gefunden und in Entwicklungsdynamik gebracht: Heute ist Wissen kein Engpass mehr, sondern unvergleichlich leichter zugänglich für alle als zu jeder Zeit zuvor. Der Engpass und die Hauptaufgabe für Lernen und Bildung sind die entscheidenden Lebens-Schlüsselkompetenzen, kurz Future Skills. Sie umfassen Achtsamkeits- und systemische Kompetenz, Team- und Kooperationsfähigkeit, Empathie- und Kommunikationskompetenz, Lern-, Kreativitäts- und Innovationskompetenz, Imaginations- und Umsetzungskompetenz und vieles mehr. Sie sind von jedem lernbar, sie bilden die neue Allgemeinbildung im Zeitalter des Menschen als Learning Co-Creator.

Die Zeit ist reif für einen Durchbruch ins Learning-Co-Creator-Zeitalter. Zukunft co-creativ zu denken und Co-Creator-verantwortlich zu gestalten ist die Chance, dass wir zur Ursache einer sehr viel attraktiveren Zukunft werden.

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Hinweis: Zur Vertiefung dieser Überlegungen habe ich ein gleichnamiges Webinar entwickelt. Am 15. Juni von 17.00-18.30 Uhr wird das erste stattfinden, weitere werden folgen. Wer daran Interesse hat, kann dies mit einem formlosen E-Mail tun an p.spiegel@weq.institute.